7. Sonntag nach Trinitatis

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25. Juli 2020 Kirchengemeinde
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Ein Freund von mir sorgt sich. Er sorgt sich um seine Verlobte. Sie sind im Gespräch. Täglich. Über Skype. Doch dass sie sich haben in die Arme schließen können, das ist schon lange her.

Seine Verlobte ist Armenierin. In Armenien haben die Beiden sich vor drei Jahren kennen und lieben gelernt. Er hat sie einige Male in Armenien besucht. Sie ihn in Norddeutschland. Heiraten wollten sie. In diesem Sommer. In Armenien. Ich war eingeladen. 

Corona hat ihre Pläne durchkreuzt. Die Grenzen sind dicht. Die Fallzahlen steigen aktuell in Armenien. Wann ein Wiedersehen möglich sein wird? Keiner kann das sagen.
Und nun ist noch ein Grenzstreit entbrannt. Zwischen Armenien und Aserbaidschan. Es gab Tote. Auf beiden Seiten. Wie groß die Gefahr einer militärischen Eskalation ist? Auch das vermag keiner zu sagen. Dafür ist die Lage zu unübersichtlich.
Mein Freund sorgt sich um seine Verlobte und ihre Familie. In diesen Tagen, an denen doch eigentlich ausgelassen gefeiert werden sollte.

Was soll ich ihm sagen, meinem Freund: „Das wird schon wieder, vertraue dem Leben, setze auf Gott. Gott lässt dich nicht fallen."?
Eigentlich schon. Denn gerade wenn das Leben „unübersichtlich“ wird, ist doch die Zeit gekommen darauf zu bauen, dass Gott mit uns ist.
Doch stimmt das? Ist Gott mit mir? Glaube ich das? Vor allem, glaubt das mein Freund, bei all der Unklarheit die ihn umgibt, bei all den Sorgen, die ihm derzeit zu schaffen machen? 

Wenn Glaubenszweifel auftauchen, fällt mir oft ein Satz aus den Psalmen ein: Und zwar folgender: „Du Gott, stellst meine Füße auf weiten Raum.“ 
(Psalm 36, 1)
Der Raum, auf dem unsere Füße stehen, der ist so weit, dass mein Freund seine Liebe sogar in 3000 km Luftlinie entfernt findet und mit ihr glücklich ist.
Der Raum, auf dem unsere Füße stehen, der ist manchmal so weit, dass wir die Orientierung verlieren und manchmal auch uns selbst.

Der Zweifel, ob Gott tatsächlich in diesem weiten Raum um uns weiß, der Zweifel, ob es denn auch wirklich Gott ist, der unsere Füße auf diesen weiten Raum stellt, solche Zweifel machen unseren Glauben nicht leichter. Möglicherweise dafür aber wahrhaftiger und tiefer.

Natürlich ist es wunderbar, wenn wir morgens aufwachen, guten Mutes und voller Tatendrang und Gott-Vertrauen. Wenn davon jedoch wenig zu spüren ist, bleibt noch etwas anderes. Und das ist meine Ehrfurcht vor Gott. Die Ehrfurcht vor Gott lehrt mich zweierlei:

Erstens: Ich weiß, dass mein Leben anders verlaufen darf, als ich es mir wünsche. Und zweitens: Ich weiß, dass auch Gott anders sein darf, als mein Glaube es ihm erlauben will. Das Wissen um diese beiden Dinge, vielleicht kann man es den „ernsten“ Teil unserer Liebe zu Gott nennen.

Die Pandemie wirbelt weltweit die Lebenspläne so vieler Menschen durcheinander und bringt vermeintliche Sicherheiten ins Wanken. Eben auch die meines Freundes und seiner Verlobten.
Was ich meinem Freund sagen werde: Ich baue darauf, dass sich Euch Beiden auf dem weiten Raum Eures Lebens Wege auftun werden, die Ihr gehen könnt. Darauf baue ich. Amen.

Ihr Pfarrer Wolfgang Döring